Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
Text 1 zu dem Bild blass – in der Gegend von
ich brauche den regen
der auf den atelierhof niedergeht
um von jener blässe der wolken zu sprechen
es scheint mir heute
dass das nahende gewitter gewissermaßen
bloß eine metapher für jenen steg
der zu uns hinüberführte —
stangen worüber netze und planen ge-
spannt waren die dort
die landschaft verschandelten marmorierend
die verwaschene rasterung des
verschwimmenden gebirges
ich erinnere mich jetzt das war
dieses ganz unbeschreibliche wetterleuten
im jahre soundso wir machten damals urlaub an der
g. spricht von der pappel
die noch vor einem jahr im hinterhof
zu viel schatten spendete
erinnert
an kindheitspappeln vorm fenster an
ein dunkles äste bre-
chendes rauschen bei sturm und gewitter
ich fotografierte den steg
in den bodenbrettern der
regennassen atelierterrasse
die hinterhoffassaden wiedergaben
und mir an der außenkante eines blumenkübels
ihren fluchtpunkt zeigten
weiße flecken auf einem undeutlichen steg
alles hinter einem vorhang aus vergessen
und erinnerung
irgendwas an der grenze zur seriosität
in knöchelhöhe
nicht warm nicht kalt
ein riss in der wand
Text 2 zu dem Bild golden – scheine beileibe
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
wer hat angst vorm gärtner hinterm vorhang
warum kann ich nicht einfach willenlos heraus-
fallen aus einem bild das mich nicht mehr hält
wo ich doch mich abwendend förmlich vorn-
überkippe seitlich wegrolle
vor dem hintergrund irgendeines
banalen gesträuchs
der sich öffnende vorhang seiner abgerissenen tapete
bühne frei für unser refugium auf dieser welt
kulisse speicher hochbunker staffage theaterhimmel
auf dieser bühne werde ich aufbewahrt
wurden wir geboren wie mir
am hellen tage vorsichtig dämmert
der ich ja immer einmal wieder das subtile zucken verspürt habe
mich wegzudrehen
einladend ist sie ja nicht
unsere behausung am hang
warum kann ich dann nicht einfach willenlos herausfal-
len aus dem bild das mich nicht hält
weil da etwas meist gleich neben der einfahrt zur tiefgarage
von unserem seichten heim am hügel steht
es hat ja bebaut hat angepflanzt unseretwegen kräftig gedüngt
zu unserem besten nutzbringend gerodet und wird
als ob nichts wäre am nachmittag zum
praktiker-baumarkt fahren wegen der neuen tapete
ist was schatz — wie — irgendwas ist
es ist der gärtner hinter dem vorhang
und wer ist dein und wem bist du gärtner-hinterm-vorhang
wer ist dein förster am lattenzaun wem bist du
ein abgebrochener zweig auf dem goldenen pfad zum —
ein pelziger igel an der einfriedung
eine im vorübergehen fortgeworfene chipstüte
im kellerloch des hochbunkers
und wem bist du nicht fenster sondern
tapete wand putz
Text 3 zu dem Bild freude – schöner funken
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
als g. darüber sprach in diesem regensburger café
kam ein mädchen herein und fing an
uns durch ein fernglas zu beobachten
g. sprach von gegenständen auf einem flohmarkt
dass es um dieses wiedererkennen gehe
eine taube pickte an der türschwelle des cafés herum
und wagte sich schließlich einige schritte hinein zu
passanten kinoprogramme und auch ich
hatte ein paar gedichte dabei
stahlgestelle stemmten
marmorplatten
g. sagte es sei ja schon seltsam dass der mensch
dieses knöcherne wesen –
jemand redete von einem hund in laberweinting
und g. dann wieder dass er natürlich
aus der soliden basis kindlichen landschaftserlebens schöpfe
und dies so reichhaltig
dass eben sonst kein weiterer spiritus loci –
bzw er ging durchaus soweit
den spiritus loci
des weltdatennetzes zu beschwören ab-
gebrochene filter im aschenbecher
erzählte ich von einer balkanreise
und ein barockengel vom portal der dreifaltigkeitskirche
blickte durch die lüftungsschlitze auf
uns und gesprungene bodenkacheln
und die schiefen kunststoffbuchstaben
an ihrer staubigen filztafel
Text 4 zu dem Bild spür ich und mein herz zurück
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
im rückspiegel ver-
schiebt sich der gelbe walbauch
eines riesigen krans er beschleunigt richtung auffahrt
dann vor mir rücklichter
aufgefädelt in drei endlosen ketten
eine in der u-bahn abgeschickte kurzbotschaft
die bedeutungslos im weltraum
und zwischen aufflackernden lichtern versandet
die treppe zu einer unterführung der ludwigstraße
die feuchtigkeit in den fugen der bodenplatten
zwei monolithische p.a.-lautsprechertürme
wie ahnungen die spuren abgewaschener gemälde
die geometrie verblassender grafittis
ich höre
das einschaltgeräusch lebens-
signal einer generatorgespeisten endstufenbatterie
soundinstallation von hans platzgumer
der nachhall meines faustschlags auf eine verschlossene
von grafitty-tags erläuterte stahltür
ich spüre die körnung das sandes
den meine
an der wand der unterführung hinuntergleitenden
handflächen von den kunststeinplatten reiben
an den händen bleiben
als schatten
kristalline ausdünstungen der stadt
der sand ist zu
boden gefallen
und im flimmern der installation
stehen kommentieren schemenhaft
an die wand gelehnte gestalten
während mein herz für geliehene augenblicke zurück-
kehrt in diese leere aus der es
irgendwann einmal
herausgekrochen ist
Text 5 zu dem Bild flieg – verbunden mit mir
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
und blüten fallen fermentieren
etwas das im zuge seines verfallsprozesses
seine farbigkeit beibehält
nicht wie ein apfel der flecken kriegt
und braun wird und nicht wie ein blatt papier
das vergilbt sondern wie datenmüll
der ewig frisch bleibt fotos von
vor einem jahrzehnt
in ihrer ephemeren farbigkeit
anbeten eines anbetungswürdigen himmelslichts
seitlich angepflanztes
auf der allee wir
bewegten uns auf uns selbst zu
in leere geschaffen
von der anwesenheit verblasster
bäume schale lichter der himmelsobjekte
abgewandtheit und die trivialität von abgewandtheiten
die farbe von bonbons und farbe
von biolimonade
die mir g. anbietet die
aus fermentierten abgestorbenen pflanzenteilen
gewonnen wird
verblassende werbung
und verwandlungsprozess in einer
künstlichen vegetation
der ins zwischenmenschliche
umgedeutete gärungsprozess
klebespuren klatschspuren von etwas
das aufgeklebt war
Text 6 zu dem Bild verkenne nichts als -allemal
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
blocks kubisch wie
mit der malerrolle ins bild
wie wenn man sich in den aufgeklappten spiegel-
türen eines kosmetikschränkchens
wie heißen die dinger noch
plötzlich als triptychon gegenüber –
facetten durch ein prisma sagen
guten tag lass uns
wohnblocks sperrig wie
von der orgel ein durnonakkord
der zweimal im kirchenschiff nachhallt
und in einem dumpfen einschlag –
mit einem rucksack voll
am meer gefundene kieselsteine mu-
scheltrümmer beim trocknen verblasst –
in fußhöhe graben
die mit rotem isolierband
umwickelten wasserrohre
im aufgebrochenen hohlraum der atelierwand
überzieht g. das noch nicht freigelegte bild mit wasser
das er einem gepunkteten blumentopf entnimmt
es beginnt zu leuchten
wie eine seite aus einem playmobilprospekt
auf lichtbildern ein stapel bretter vor dem
schüttwinkel der sandhaufen
an verwittertem rolladen
buddhaplakat
zwischen
herumstehende bilder
weiße kanten
Text 7 zu dem Bild verdreht – irgendwie die welt zu füßen
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
draußen türkenhof drinnen
türme
im trüben türkis
ein putzlappen ein
in die ebene hinein-
schwimmendes stück land
g. redet über eine szene bei almodovar das
aufsaugen des blutes mit küchenpapier
und dann wälzte sich dein weggeworfener
blutgetränkter wattebausch
wie eine malerrolle
noch einmal über die horizontlinie hinterließ
schlieren am himmel
bitte versuche mir zu sagen wie
und im freibad unseres lebens
schimmerte es rot am leuchtturm rauschten
im schatten einige müde pixel am
himmel erschien ein obszöner
weißer fleck
zwei oder zweimal ich
hinter dem schleier
vergiftet
von der einen zigarette zuviel
die ich in diesem regen geraucht habe
zwischen stuckleisten von der decke
verschwinden deine leuchttürme
im nebel
hängt
der
aluschirm
Text 8 zu dem Bild verkürzt- und mir den weg
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
inmitten pastellener süßlichkeit bunkerkhaft
unbewohnte häuser
saß ich da
alleingelassen
mit dem floralen rest einer abgerissenen tapete
krümmten wir uns jeder für sich
buchstaben einer alten abendzeitung
kfz-anzeigen
auf denen die halbfertigen bilder herumstanden
g. und ich gingen erst einmal zum koreaner
und so ging erst einmal gar nichts
die zeit verging über kreuz
und quer des staubes der fußspuren
auf den bereit stehenden holzplatten
ein lappen
in einem blauen kunststoffeimer
ein weiter weg ein
kurzer hinüberblick
ein himmel
wie das fernsehprogramm von letzter woche
abgebürstete papierene relikte
bedecken den boden wie schnee
als wir zurückkommen ein
anonymer klebemittelkanister für dessen hand-
habung der schamane
seinen arztoverall
g. den kanister hin und herschwenkend
ansichtskarten –
die schwämme sind
weiß geworden
Text 9 zu dem Bild „halte meines platzes ehre“
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
mit einem buch über schamanismus
tauchte ich im atelier auf sah
pixel im pixel — labyrinthe aus kufi-kalligraphien
aufflackern von selbstähnlichkeit
suche nach dem kleinsten teilchen
aufgerollt standen seitenverkehrte plots
ich durfte im spiegel betrachten
den haken im bild
ein milchiger schimmer schuf
ganzheit mit der wand
auf dem fresko brennt
eine ölquelle stumm hinter
ihrem vorhang
gaben laternen die taktstriche ab
für das feuer einer synkope
einen gelbakkord von einer
externen midi-soundquelle
während g. auf der terrasse jetzt im
sonnenschein erste entwürfe meiner texte
über seine bilder liest
g. weist auf den in leserichtung
zwischen den hihatschlägen der laternen da-
vonrasenden wagen verteilt
weihwasser wie ein ministrant beginnt
das kraftfahrzeug durch tätscheln und rubbeln herauszuarbeiten
g. der den weißen schamanenkittel abgelegt hat
ich
dem schamanen ins kontrastmittel gelangt
im verborgenen blüht oder
geschäftig sich zur schau stellt
wähle baustelle
Text 10 zu dem Bild schön zu sehen – zu sein
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
er zeigte fotos darauf
waren baustellen zu sehen aufgeris-
sener asphalt errichtung von stahlbewehrungen hochhausbau
vorhang gibt die bühne frei für
wartung elektrischer leitungen
ein plakat dessen text heruntergewaschen wurde
das neue — jetzt mit der — just call your — wherever you
auf der baustelle des liedes aus telefongeräuschen
haben die freizeichen in der leitung außen knacksen
nach außen führen die farbe von kernseife bienenwachs
und staub partikel als materialisierung von
rauschen von knacksen rauschen
in seinem aggregatzustand als asche und spurenelemente
regelung der klangübertragung justieren von
widerständen zustandekommen von tele-
kommunikation höre ich wie durch den
nikotinverstaubten vorhang
in einer zweizimmerwohnung
zuvor hatten g. und ich ja bereits über begräbnisrituale
nach dem rauschen also tote leitung
diese unbefangenheit der südländer im umgang mit dem
diese sublimierung durch überbordende sinnlichkeit
auch für uns einmal eine ernsthafte option
trzaska und wirkus machten einen loop aus telefonsignalen
eine reise wie bei chatwin und ich
betrachtete eines der bilder auf dem
natürlich auch das obligatorische gas abgefackelt wurde
im zustand des ungerubbelten spiegelverkehrten plots
rote cluster auf der dominantstufe
eine kadenz leitete mich zum brennenden dornbusch
straßenmarkierungen wie seifenklötze
tonart türkis
Text 11 zu dem Bild an der stelle – die zeit derstein
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
wie ich den boden seines ateliers absuchte
ein paar mürbe gehölze
kompressionsartefakte ziehen
sich als sich
kreuzende linien über die kleidung
wie es ja auch bei dem türkisen känguru yps war
dessen penetrante musterung
von jeglicher körperbewegung unabhängig
als koordinatensystem stets konstant ausgerichtet blieb
und tatsächlich bemerkte ich dass ich einen augenblick lang
an meiner kleidung hinunter-
sah und nach jpeg-kompressionsartefakten suchte
während neben mir auf dem
fensterbrett der papierbrei
auf den quadern zweier schwämme
zu kruste wurde
vor denen auch der körper einer an der scheibe
zu grunde gegangenen wespe trocknete
so eine „mytho-heroisierung“ müsse
sich doch hinbekommen lassen
grundierte er weiter die rückseite eines verworfenen bildes
die jetzt neue vorderseite wurde
nachdem er interessiert gefragt hatte
wie ich denn das mit den mythologischen bezügen
in seinen arbeiten gemeint hätte
die mythologischen bezüge die ich da
hinein- / herausarbeiten wolle
dann ging er pinsel auswaschen
und später sprach g. wie zufällig
mehrfach
von den kranichen des ibikus
Text 12 zu dem Bild im freien – und ausschau
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
heute strahlt die sonne
etwas zentrales wird aufgeklebt
zwischen dem nordwesten und dem südosten
ein männergespräch abgeklebt ein
von einem fast wolkenfreien himmel
boot kommt vom ufer los ein geklebter steg wird
auch im südwesten verschwinden die wolken
aufgeweicht etwas aufgeweichtes aufgeklebt etwas
nur östlich der elbe bleibt es etwas bewölkter
aufgeweichtes wird abgelöst und
die luft erwärmt sich vielerorts auf 20 bis 23
aufgeklebtes transparent gemacht
im südwesten auf 26 grad
der vorgang des aufklebens rückgängig gemacht
das rückgängigmachen des aufklebevorganges durch
dabei entstehende rückstände thematisiert
etwas wird auf etwas anderes geklebt
aber der film wird rückwärts abgespielt etwas
wird freigelegt wird abgedeckt um
freigelegt werden zu können etwas wird
abgeklebt um bewahrt zu werden etwas bewahrtes
wird wieder zugänglich gemacht etwas
wird unvollständig bewahrt ein nachmittag wird bewahrt
um zugänglich gemacht werden zu können es
wird etwas wieder zugänglich gemacht
auf kosten seiner bewahrung
der wind schläft oft ein
der vorgang eines verfalls wird abgeklebt
etwas wird durch abkleben
und weht zunächst aus unterschiedlichen
im laufe des tages
in einem stadium seines verfalls eingefroren
aus östlichen richtungen
am sonntag bleibt es überall sonnig und trocken
nur im südwesten wechselnd bewölkt
Text 13 zu dem Bild umher im trüben - und finden
Aus dem Gedichtzyklus „aggregatzustand“ von Roland Scheerer
stellte mich auf die straße sah
fern
die trasse unter ihrem papierenen überzug
ich sehe sie während des entstehens
sie lehnte an der wand unter dem fenster
wurde wieder weiß überzog sich
mit papierenem raureif
als das wasser wich
einschlag oder eruption
der gleichgültige riss in der straßendecke
auf deinen alten fotos schickte sich
fotografiert durch einen maschendrahtzaun
jemand an eine baustelle zu besichtigen
in diesem augenblick an jenem tag
spiegelte sich der himmel weiß in pfützen
agfa brovira papier reagierte nicht
das muster das ein stapel stahlgitter
nach seiner entfernung auf dem rasen hinterlässt
war sie schon außerhalb
hatte damit schon nichts mehr zu tun
unterwegs im halbvollen zug nach norden
hielt ich eines der bilder in platzpapier in der
unbeschreiblichkeit der farbe
der beginnenden nacht da draußen
in dieser farbe hätte ich gern ein hemd das
blau verpackt
als die männer
noch immer arbeiteten
und auf die gäste warteten —
dein schrauben an einem
schwedischen militärrad